Band­in­ter­view: Kapelle Petra

30.05.2016
Musikvideo und Interview mit Kapelle Petra

Interview

Liebe Kapelle Petra, vor langer Zeit haben wir euch schon einmal den Puls gefühlt: deutsch, vital, außergewöhnlich, symphathisch - das Attest war eindeutig. Also stürzen wir uns auf euer neues Album "The Underforgotten Table" (Release: 02/2016)... und bleiben gleich am Titel hängen: underforgotten? What? Wie? Nie gehört. Das digitale Wörterbuch LEO weiß auch keinen Rat: "Leider konnten wir zu Ihrem Suchbegriff underforgotten keine Übersetzung finden". Hmmm... Wir bitten höchstpersönlich um Aufklärung!


KAPELLE PETRA: Der Titel beruht auf einem Versprecher eines Freundes, der leicht angetrunken und hektisch nach dem Namen des Songs "Pride" von U2 suchte: "...wie hieß nochmal das eine Lied? Das ist doch auf...sag schnell....The Underforgotten Table!" Er meinte natürlich The Unforgettable Fire. Wir fanden diesen Versprecher in der Situation so lustig, daß er unbedingt als Titel auf diesem Kapelle-Album verewigt werden musste.


Das letzte Album "Internationale Hits" stammt von 2013. Habt ihr drei Jahre für die 14 Tracks von "The Underforgotten Table" gebraucht? Gab es eine wohlverdiente Pause oder doch eine Sinnkrise bezüglich des eigenen Schaffens in einem sich schnell und ständig verändernden Musikmarkt?

KAPELLE PETRA: Weder noch. Wir waren viel mit der Band unterwegs, wollten aber unseren gewohnten Plattenrythmus von ca. 5 Jahren auf jeden Fall unterbieten und "schnell" nachlegen ;-)


Mit wem und wo habt ihr die Songs umgesetzt und produziert? Was ist euch wichtig über die Entstehung des Albums zu sagen? Immerhin habt ihr ein großes Spektrum an Sounds aufgefahren: harten, new wavig-grungigen Gitarrenrock wie "Stau" und hauchdünne Electro-Beats aus dem Sequencer, wie in "Frieden", "Befund" und "Die Lehrer" zu hören...

KAPELLE PETRA: Dank unserer Fans konnten wir mittels Crowdfunding (wir nannten es "Krautfanding") mehr als 32000 Euro für dieses Album generieren. Dadurch hatten wir für die Produktion ganz neue Möglichkeiten. In Thomas Hannes und Tobias Röger haben wir zwei wunderbare Produzenten gefunden, mit denen wir das Album in der Düsseldorfer Tonfabrik und im TonStudio in Lohmar aufgenommen haben. Spannend, neu und wichtig für uns war, daß wir alle Songs live eingespielt haben. Dadurch bekamen die Aufnahmen eine ganz neue Dynamik. Man spielt die Songs zusammen, kann sich dabei sehen und hat eher das Gefühl eines Live-Auftritts. Zudem standen im Studio so schöne Sachen rum, wie z.B. ein Minimoog oder ein Drum-Sequenzer, bei dem man noch richtig Strippen stecken musste, um den Beat zu erzeugen. Allerdings gab es auch echte Gastmusiker, wie die Bläser in "Ja" und "Die Lehrer".


"Morgen ist frei" beginnt wie ein Fehlfarben-Song, der es nicht auf das 1980er Kultwerk "Monarchie und Alltag" geschafft hat... Wie sieht es mit der Inspiration für eure Musik aus? Gibt es musikhistorisch gesehen beständige Quellen der Anregung? Oder fliegen euch die Songs praktisch über Nacht, im Schlaf, in der S-Bahn zu?

KAPELLE PETRA: Wir schreiben grundsätzlich Lieder, die es bei anderen Bands niemals aufs Album schaffen würden. Leider gibt es weder musikhistorische noch andere Quellen der Inspiration, aus denen man unendlich schöpfen kann. Die Ideen kommen meist einfach spontan. Wir können sie nicht erzwingen und herausfordern. Wichtig ist dann einfach, den Moment einzufangen und daraus ein Lied zu machen.


Ein Blick auf Spotify besagt: das Groß eurer Hörer sitzt in Hamburg. Und da machen wir eine gestelzte Verbindung ;-) Gibt es die in den 2000ern eine zeitlang schwer gehypte Schublade der "Hamburger Schule" eigentlich noch, in die ihr auch ab und an getütet werdet? Zum Beispiel gehörten Blumfeld und deren Umfeld zur Speerspitze dieses 'neuen' deutschen Rocks...

KAPELLE PETRA: Als wir mit der Band anfingen, war der Begriff in aller Munde und tatsächlich haben wir damals oft Die Sterne und Tocotronic gehört. Dazu kam noch, daß wir alle musikalische Anfänger waren, deutsche Texte hatten und unser Sänger zufälligerweise eine ähnliche Frisur wie Dirk von Lowtzow trug. Durch diese Mixtur wurden wir schnell in die Schublade "Hamburger Schule" gesteckt. Wir selber haben das nie getan und konnten bis heute unseren Musikstil auch noch nicht wirklich genau definieren. Hamburger Schule war es jedenfalls nicht und wir glauben, daß es sie heute auch nicht mehr gibt.


Mit "Ja" ist euch ein unserer Meinung nach perfekter Popsong gelungen, der aufgrund des Themas eine längere Wirkung hat, als man zunächst glauben mag. In Asien ist dieses Haltung gegenüber einem "Ja" sehr verbreitet, in Deutschland eher nicht, oder?! Wie seid ihr auf den Song gekommen?

KAPELLE PETRA: Wir haben den Song zusammen mit einem Freund geschrieben, der auch die eigentliche Idee dazu hatte. Den "Sag einfach ja - Grundgedanken" haben wir dann zusammen in die typische 'Kapelle-Sprache' übersetzt. Wir ertappen uns selbst häufig dabei, neue Dinge erst einmal abzulehnen. Somit ist der Song vor allem auch selbstkritisch und selbstermahnend.


Wo und wie habt ihr den Song mit dem elektrischen Bullen umgesetzt? Muss man nach Beschau des Clips um die Fortpflanzung der Band-Mitglieder fürchten?

KAPELLE PETRA: Wir wollten gerne mal ein Video machen, das inhaltlich nichts mit dem Text zu tun hat. Und dann gab es schon lange diese Idee mit dem elektrischen Bullen. Wir haben das Video in den Hammer Zentralhallen gedreht, gerne auch Bullenhalle genannt, weil dort oft Viehversteigerungen stattfinden. Letztendlich passen Text und Bild nun doch wieder erstaunlich gut zusammen. Bis auf ein paar blaue Flecken und einem zerbrochenen Brillengestell sind wir alle gesund aus der Nummer herausgekommen.


In "Sensationell" hören wir den genialen Satz "Jeder scheitert halt so gut er kann". Das ist für mich die perfekte Metapher für das Leben an sich - genial! Ist der von euch (Copyright ;-)? Bekommt man diese Sicht auf die Dinge im zarten Alter jenseits der Dreißig? Oder war das einfach 'nur' eine grandiose Sternschnuppe der Pop-Lyrik?

KAPELLE PETRA: Ursprünglich stammt dieses Zitat in abgewandelter Form von Mick Jagger, der so auf die Frage eines Journalisten antwortete, ob er sich nicht ärgere nichts 'Vernünftiges' gelernt zu haben. "Jeder scheitert halt so gut er kann". Genial! Wir haben es allerdings benutzt, um das wahrscheinlich wirkliche menschliche Dasein in einem Satz zusammenzufassen.


"Pogo in den Sonnenuntergang"... Gibt es diesen Begriff "Pogo" heute noch? Er war im frischen Punk der 1970er die perfekte Beschreibung für einen wilden ungezügelten Tanz, der nicht selten in eine wilde Rauferei und Prügelei ausarten konnte.

KAPELLE PETRA: Keine Ahnung, ob der Begriff Pogo heute noch Bedeutung hat. Für uns bedeutet "Pogo in den Sonnenuntergang", dass wir älter werden, ohne dabei seriös werden zu müssen. Wahrscheinlich machen wir auch noch Klingelmännchen mit Rollator oder so. Und es ist schön, dass man das frei von Konventionen so kombinieren kann. Von Prügeleien sind und waren wir aber meilenweit entfernt.


Wofür steht das Label Skycap Records aus Münster? Was zeichnet diese Partnerschaft zwischen euch und den Münsteranern aus, denn in der dortigen Discography erscheint nur das 2008er Album "Stadtranderholung"...

KAPELLE PETRA: Wir arbeiten seit 2008 zusammen und lieben grundsätzlich kontinuierliche Beziehungen in diesem schnelllebigen Business. Auf dieser Basis entstehen einfach auch gute Freundschaften wie halt mit Dirk von Skycap. Dass da nur "Stadtranderholung" steht, kann nur ein Versehen sein, da wir auch "Internationale Hits" und "The Underforgotten Table" dort veröffentlicht haben.


Steht mit jedem neuen Album noch die klassische Tour an, die man (früher) benötigte, um Umsätze beim Tonträgerverkauf (vor Ort) zu generieren? In Zeiten des sinkenden Absatzes von physischen Tonträgern: macht das noch Sinn? Wie geht man als Band damit um? Was lässt man sich einfallen, um den digitalen Betrieb zu pushen?

KAPELLE PETRA: Vermutlich ist der physische Verkauf und auch der klassische Download auf dem absteigenden Ast. Streamingdiensten scheint die Zukunft zu gehören und Freunde von anfassbarem Bandkram ziehen sich wohl eher auf analoge Medien wie Vinyl oder vielleicht sogar Kassetten zurück. Das klassische Album wirkt in dem Sinne eher wie ein Promotool, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nicht zuletzt, um Veranstaltern Argumente für 'ne Show zu liefern. Der Focus liegt wohl eher auf dem Live-Spielen... Das macht eh am meisten Freude.


Nach der Release ist vor der Produktion: was steht für die Kapelle Petra in nächster Zeit an?

KAPELLE PETRA: Auf jeden Fall viel touren, noch einige Videos zur neuen Platte drehen und Ideen für neue Songs sammeln.


LINK: c-tube Profil von MARCUS BINIEK

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