Ich habe zum Testen die Yamaha Pacifica 611HFM RTB sowie die 311H YNS bestellt. Beide haben am Hals einen P90 und am Steg einen auf Single-Coil splitbaren Humbucker. Die 611 kostet ziemlich genau doppelt so viel wie die 311. Prinzipiell basieren die Gitarren auf dem gleichen Grundmodell, sie unterscheiden sich im Folgenden: Die 611 hat beide Pick-Ups von Seymour Duncan, bei der 311 sind es Yamaha Pick-Ups. Die 611 hat den Steg aus Graphit (311: Stahl), außerdem hat die 611 ein Ahorn-Furnier auf der Vorderseite des Erlen-Korpus, das sich klanglich wohl kaum, dafür aber optisch auswirkt. Die farbigen 611-Modelle sind transparent lackiert, so dass man das Ahorn sieht (in meinem Fall rot, RTB steht für Root Beer). Die 311 hat einen reinen Erlen-Korpus, der bei den farbigen Modellen deckend überlackiert ist, bei der YNS (Yellow Natural Satin) aber in ansehlichem Naturholz-Finish daher kommt. Die restlichen Specs sind gleich. Doppelter Preis also für Marken-Pick-Ups, etwas edlere Optik und Graphit-Steg.
Die Gitarren sind grundsätzlich gut verarbeitet (Lack tadellos, keine scharfen Bundstäbchenkanten, ordentliche Stimm- und Steg-Mechaniken, Graphit-Sattel). Lediglich die Tone-Regler sind sehr leichtgängig und verstellen sich von selbst, außerdem ist bei beiden Potis der tatsächliche Regelbereich in einem sehr kleinen Bereich. Dies trübt den Eindruck der ansonsten ordentlichen Gitarre leider (und Potis sind nun wirklich nicht teuer …).
Hals, Korpus, Saitenlage usw.:
Halskrümmung, Saitenlage und Bundreinheit sind bei beiden Modellen nicht gut eingestellt. Vielleicht wurde es ja in Indonesien richtig eingestellt, hat sich aber beim langen Transport (Luftfeuchtigkeit, Temperatur) dejustiert. Jedenfalls wurde vor dem Endkundenversand nichts mehr eingestellt, obwohl zumindest der Karton der 611 mit einem Klebeband zugeklebt war, auf dem Qualitätskontrolle Yamaha Deutschland stand.
Gerade bei günstigen Instrumenten lassen sich die genannten Parameter manchmal gar nicht richtig einstellen, weil Holzverarbeitung und Hardware so schlecht sind, dass man nur faule Kompromisse eingehen kann. Das ist bei der Pacifica anders. Mit Truss-Rod und Steg-Mechanik kann man die Gitarre (Hals und Saitenlage) gut einstellen, so dass sie leicht bespielbar und bundrein ist und keine Saiten schnarren. Insofern bekommt man hier fürs Geld eine wirklich ordentliche Basis, nachdem man die Gitarre justiert hat: Die Gitarre funktioniert, ist gut bespielbar, macht keinen Ärger. Das Einstellen dürfte aber gerade für einen Anfänger etwas knifflig sein. Die Truss-Rod-Abdeckung ist eine Design-Schwachstelle dieser Gitarre und sehr fummelig zu entfernen und wieder anzubringen.
Haptik.:
Beide Gitarren fühlen sich gut an. Mir hat die 311 besser gefallen: Korpus und Hals fühlen sich nach nahezu unbehandeltem Holz an. Die Optik des Erlekorpus ist sehr attraktiv. Bei der 611 sind Hals und Korpus dagegen dick lackiert, Natural Finish wird in der Modellreihe 611 nicht angeboten. Ich persönlich mag satinierte Hälse lieber als lackierte. Beide Gitarren wirken auf ihre Art aber hochwertig und klingen unverstärkt gut.
Leider hat die Pacifica im Bereich der Halsverschraubung den traditionellen rechtwinkligen Block, wie in Tele und Strat schon in den 50ern hatten - hier haben die Wettbewerber oft bessere Lösungen (abgeflacht, gerundet), so dass man bequemer an die oberen Bünde kommt.
Sound:
Hier unterscheiden sich 311 und 611 beträchtlich.
Die Seymour-Duncan der 611 sind klar die besseren Pick-Ups. Der P90 klingt voll und glockig, wenn vielleicht auch nicht ganz so toll wie auf einer Les Paul. Der Humbucker ist druckvoll und differenziert - für Clean über Blues, Rock bis Heavy Metal geeignet. Gesplittet als Single Coil ist er bissig. Es gibt keinen Lautstärkeabfall beim Coil-Splitting (anders bei der 311).
Leider gibt es die Pacifica nur in dieser Konfiguration, ein zweiter P90 am Steg wäre eine interessante Option.
Insofern ist die 611 eine klanglich vielfältige Gitarre, die ordentliche Sounds liefert. Allerdings finde ich, dass es ihr insgesamt etwas an Seele und Charakter fehlt. Nach einigen Tagen Antesten keine Gitarre, die man unbedingt in der Sammlung haben muss, weil sie den geilen Sound liefert, den nur sie kann.
Der Sound der 311 ist im direkten Vergleich mit der 611 eher etwas "billig".
Der P90 klingt eher wie ein normaler Single Coil -nicht so kratzig wie eine Strat- oder Tele-SC, aber ähnlich wie z.B. die DiMarzio SCs bei Ibanez oder gesplittete Humbucker auf verschiedensten Gitarren. Der Humbucker ist etwas undifferenziert, splittet man auf Single Coil gibt es einen merklichen Lautstärke-Abfall (nicht so bei der 611). Insgesamt ist der PU etwas greller und kratziger. Die Mittelposition (P90 + SC bzw. P90 + HB) ist interessant.
Allerdings muss ich sagen, dass der Sound auch seine Vorteile hat, er ist etwas kantiger und weniger glatt als bei der 611. Wenn man auf der Suche nach eigenständigen rotzigen Sounds ist, kann das mit der 311 etwas werden - und vielleicht ist sie eine brauchbare Alternative zu gehypten Vintage Fender Mustangs, Jaguars oder Jazzmasters. Die 311 ist vielleicht nicht geeignet eine Ikone zu kopieren, könnte aber einen eigenständigen Grunge-Sound liefern.
Fazit:
Wer eine gute Einsteiger-Gitarre sucht, macht weder mit der 311 noch mit der 611 einen Fehler. Was Holz, Holzverarbeitung und Hardware betrifft, sind beide Modelle fast gleichwertig, lediglich die Tonabnehmer machen den Unterschied. Wer eher dreckige, rotzige Sounds mag, für den kann die 311 durchaus bühnentauglich sein. Die 611 ist klanglich etwas solider aber eben auch etwas charakterlos.