Ein Mikrofon für alles – gibt es das?

Ein Mikrofon für alles – gibt es das?

Hier geht es weiter mit den #HomeRecordingDays: Dass es sehr viele Mikrofone mit zum Teil sehr außergewöhnlichen Fähigkeiten und Eigenschaften gibt, das verrät schon der Blick in unsere Kategorie Mikrofone. Sicher ist es schön, für verschiedene Anwendungen immer zwei, drei gut passende Spezialisten zur Auswahl zu haben, aber ein kompletter Mikrofonpark kann ins Geld gehen. Und mit irgendeinem Mikrofon muss man ja schließlich beginnen, seinen Fundus zu gründen. ?


Die Frage nach dem Allrounder

Da stellt sich schnell die Frage, welches Mikrofon die besten Allrounder-Qualitäten mitbringt. Zwar nehmen die meisten Gesang oder Sprache auf, doch auch der Gitarren-Amp, die akustische Gitarre, vielleicht ein Klavier, ein Holz- oder Blechblasinstrument sollen ebenfalls aufgenommen werden können. Sogar Schlagzeug kann bei geschickter Positionierung je nach Musikrichtung mit einem einzigen Mikrofon aufgezeichnet werden.

Nun wird man von zehn Tontechnikern auf die Frage nach dem „Mikrofon für die einsame Insel“ möglicherweise zehn unterschiedliche Antworten bekommen. Man kann sich dennoch Gedanken darüber machen, was dieses „Desert Island“-Mikrofon überhaupt ausmachen soll. Sicher: Sehr charaktervolle Mikrofone mit Röhren als Impedanzwandler und Ausgangsübertragern sind per se schon etwas zu auffällig, als dass man sie für wirklich jedes Signal verwenden will.

Meist gilt: Je neutraler, desto besser. Farbe durch harmonische Verzerrungen und dergleichen lassen sich bei Bedarf später noch hinzufügen. Eine Ausnahme bilden sehr hochwertige Röhrenmikros wie das Neumann M 149 Tube oder das Brauner VM1, die zurückhaltend „veredeln“, vor allem aber die Detailliertheit des Signals nicht beeinträchtigen.

 

Flexibilität durch Umschalten

Um möglichst flexibel zu sein, bietet es sich an, auf ein umschaltbare Richtcharakteristik zurückgreifen zu können, also Niere, Kugel, Acht und vielleicht noch Zwischenstufen. Manche Mikrofone klingen deutlich unterschiedlich je nach eingestelltem Pattern, was durchaus bewusst eingesetzt werden kann.

Fast immer sind es Doppelmembran-Mikrofone, die eine derartige Umschaltung erlauben, fast ausnahmslos Großmembranmikrofone. Unter ihnen gibt es einige mit eher zurückhaltendem Sound und recht linearem Frequenzgang, wie das Neumann TLM 170R, das AKG C414 XLS oder das Audio-Technica AT4050. Die genannten sind alle nicht die preiswertesten Mikrofone. Das hat einen Grund, denn technisch müssen sie in der Lage sein, auch größere Änderungen im Mix gut vertragen zu können. Das bedeutet: Sie sollten ein geringes Rauschen und ein spätes Zerren aufweisen – und zwar über das gesamte Frequenzspektrum. Das nennt man zu Recht eine gute „EQability“ und „Compressability“.

 

Großmembranmikrofone haben den Nachteil, in den absoluten Höhen etwas schwach aufgestellt zu sein. Außerdem besitzen nicht wenige eine leichte Überhöhung etwas weiter darunter, um Spritzigkeit zu suggerieren und eine leichte Dämpfung im Bereich der scharfen Konsonanten – praktisch meist nur dann, wenn wirklich Sprache aufgenommen wird.

 

Modulare Membransysteme

Kleinmembranmikrofone sind diesbezüglich besser aufgestellt. Für verschiedene Richtcharakteristiken sind bei Modularsystemen verschiedene Kapselaufsätze erhältlich. Das bekannteste und nach Meinung vieler Profis beste System ist dabei das Schoeps Colette, welches mit sagenhaftem Frequenzgang und enormer Auflösung punktet. Preiswerter sind Oktava MK-012 oder das AKG-System mit den CK-Kapseln.

Ein Vorteil von Kleinmembranern: Die Kugeln sind im Regelfall echte Druckempfänger und nicht wie bei Doppelmembranern aus zwei Nieren zusammengesetzt. Dadurch klingen sie sehr natürlich, haben eine nur sehr sanfte Höhenabnahme zur Rückseite hin und eine Tiefbasswiedergabe, die andere Mikrofontypen nicht erreichen. Bei einem geeigneten Raum und tontechnischem Können kann also auch ein reines Kugelmikrofon die Allrounder-Aufgabe übernehmen.

Echte Kugeln bilden auch bei folgendem Aspekt eine Ausnahme: Alle anderen Mikros verstärken bei geringen Abständen zur Schallquelle aufgrund des Proximity-Effekts den Bass. Das ist zwar manchmal gewünscht, kann aber auch schnell zu viel werden. Aus diesem Grund verfügen manche Mikrofone über eine verschiedenartige Kompensation, meist durch ein Hochpassfilter.

 

Tauchspule als Alternative

Es gibt auch Engineers, die schwören nicht auf Kondensator- sondern Tauchspulenmikrofone. Und tatsächlich kann man mit ihnen, einen guten Preamp vorausgesetzt, sehr gute klangliche Ergebnisse erzielen, wenngleich sie höhenärmer und weniger detailliert sind als Kondensatormikrofone. Zudem sind diese Mikros nicht umschaltbar, besitzen dafür aber etwas, das Kondensatormikrofone nicht erreichen, nämlich eine enorme Pegelfestigkeit.

An vielen Schlaginstrumenten, Blechbläsern und aufgerissenen Verstärkern müssen manche Kondensatormikrofone nämlich passen. Abhilfe schafft bei ihnen dann möglicherweise die Vordämpfung („Pad“), über das ein Allrounder-Kondenser genauso wie über ein Hochpassfilter verfügen sollte. Bei Kleinmembranern gibt es manchmal statt Schaltfunktionen kleine Module, die zwischen Kapsel und Body eingesetzt werden.

Unser Fazit

Eigentlich ist es klar: Den echten Alleskönner gibt es nicht. Mit einem neutral klingenden, umschaltbaren Großmembranmikrofon mit Hochpassfilter und Pad kann man jedoch schon fast alle Standardaufgaben erledigen.

Beim „Sound formen“ ist dann das Mikrofon wenig beteiligt. Um Gesang, Sprache und verschiedene Instrumente klanglich in eine bestimmte Richtung zu drehen, muss dann die nachfolgende Kette bemüht werden. Spezialaufgaben wie besonders enge Patterns, Stereoaufnahmen, sehr hochpegelige Signale, aber auch eine unauffällige Positionierung oder die Möglichkeit zum Handbetrieb in Live- oder Interviewsituationen können umschaltbare Großmembraner allerdings auch nicht liefern.

Dennoch ist es sicher eine gute Wahl als erstes Mikrofon ein zurückhaltend klingendes Multipatternmikrofon von hoher Qualität anzuschaffen. Fast alle, die diesen Schritt gegangen sind, nutzen ihr erstes gutes Mikrofon noch Jahre und Jahrzehnte später sehr regelmäßig.

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Dominic hat als E-Gitarrist einer Alternative-Rockband etliche Clubs im deutschsprachigen Raum unsicher gemacht (die wenigsten davon mussten anschließend zu machen). Mit seiner Unplugged-Band steht er auch heute noch regelmäßig auf der Bühne.

5 Kommentare

    Guter artikel. Aber es zeigt sich, wie schwierig eine gute mikrofonierung ist. Auch in den anfängerbereiche ist es schwer, ohne entsprechende beratung, etwas ‚passendes‘ zu finden. Darum schon mal hier anrufen, nachfragen und überlegt entscheiden. Das ist mein rat für alle, die sich ein mikrofon anschaffen wollen, von dem sie auch in den kommenden jahre nicht enttäuscht werden sollen.

    Hallo Joshi, yup. Bei Fragen gerne melden, wir beraten unverbindlich, also keine Scheu ?

    Das war ein guter Artikel aber ich würde gern wissen, wie es mit den neuen „Modelling-Micros“ aus. Ob sie wirklich was taugen, weil ich keine Erfahrungen damit habe.

    Nur ein Tipp: auf Englisch heißt es nicht „Desert Island“ sondern „Deserted Island“. Aber keine Sorgen, viele Muttersprachler machen den gleichen Fehler.

    Hallo Ryan, danke für dein Feedback und deine Frage. Habe meinen Studiokollegen Norbert gefragt. Hier ist seine Antwort, für eine ausführliche Beratung empfehle ich dir unsere Studiohotline anzurufen: 09546 9223 30 😉
    „Modellengmikros sind ein komplexes Thema. Ich kenne momentan zwei verschiedene Varianten: https://www.thomann.de/de/slate_digital_virtual_microphone_system.htm?ref=search_rslt_slate+vms_378591_0
    Beim Slate VMS handelt es sich um ein Großmembranmikrofon das einen relativ neutralen Grundklang hat. Dieser Klang kann mit den Slate-Plugins im Frequenz- und Klirrverhalten verändert werden, um andere legendäre Mikrofone nachzuahmen. Ein erfahrener Techniker kann mit einem neutralen Mikrofon und EQ- und Sättigungs-Plugins ähnliche Effekte erzielen.
    Die andere Variante funktioniert grundsätzlich ähnlich, wird aber um eine weitere Funktion erweitert:
    https://www.thomann.de/de/townsend_labs_sphere_l22.htm?ref=search_rslt_townsend_402672_0
    Beim Townsend Lab Sphere werden zwei Signale aus dem Mikrofon herausgeführt. Dadurch kann das zugehörige Plugin erkennen aus welcher Richtung ein Signal kommt und Richtcharakteristik und die sogenannten Off-Axis-Verfärbungen des gewünschten Mikrofons nachahmen. Wenn der Schall in einem reflektionsarmen Raum auf der 0° Achse eintrifft, sollte es keinen Unterschied zwischen beiden Varianten geben. Aber sobald Raumreflektionen dazu kommen (die teils seitlich auf die Mikrofonkapsel treffen) oder Direktschall seitlich eintrifft kann ein aufwendigeres System wie das Townsend seine Vorteile ausspielen.“
    Liebe Grüße, hoffe, das hilft dir weiter. Franziska

    Tschuldigung, ein bisschen „off-topic“ zu Ryans „Korrektur“, weil „desert island“ im Englischen durchaus ein richtiger idiomatischer Ausdruck ist und „deserted island“ so gut wie nie vorkommt. Merriam-Webster schreibt Folgendes:

    We assume that the „desert“ in „desert island“ is the noun „desert“. In fact, the definition is simply „an island where no people live,“ so the „desert“ in „desert island“ is actually an archaic form of „deserted“: it refers to an island that is uninhabited, not one that is covered with sand (with the obligatory palm tree).
    (cf. https://www.merriam-webster.com/words-at-play/what-is-the-desert-in-desert-island)

    Dominic hatte also recht 🙂
    Viele Grüße
    Holger

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